Seuchen verändern das Erbgut und stärken das Immunsystem
In jedem Jahr sterben Millionen von Menschen an Seuchen wie Tuberkulose, Masern oder Malaria.
Wissenschaftler haben nun herausgefunden, dass Kindern die in einer Seuchenzeit gezeugt wurden, ein stärkeres Immunsystem besitzen.
Das verbesserte Immunsystem hat jedoch für die Kinder auch gewisse Nachteile.
Inhaltsverzeichnis
Kind erhält Schutzmechanismus gegen Krankheiten
Kinder, die in einer Seuchenzeit gezeugt wurden, haben möglicherweise bei späteren Seuchenausbrüchen bessere Überlebenschancen als ihre Geschwister, die nicht während einer Epidemie gezeugt wurden. Zu diesem Ergebnis kamen Forscher aus Rostock und London. Die Studienergebnisse wurden im Fachjournal ‚PLOS ONE‘ veröffentlicht.
Kinder, die in Seuchenzeiten gezeugt werden, erhalten demzufolge von ihren Eltern eine bessere Abwehr gegen schwere Infektionskrankheiten.
An der Untersuchung waren unter anderem Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung oder kurz MPIDR beteiligt. Für die Untersuchung wurden historische Daten aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts verwendet.
Masern-Epidemie schützte vor Pocken
Es wurden Lebensdaten von insgesamt 7.947 Kindern aus 575 Familien aus der Provinz Québec in Kanada überprüft. Die Forscher verglichen Angaben zu Geburten und Todesfällen, die aus Abschriften alter Kirchenbücher stammten.
Kai Willführ vom MPIDR erklärte, dass die Menschen im Untersuchungszeitraum ein relativ sicheres Leben hatten. Es gab keine größeren Kriege oder Hungersnöte. Dadurch war es möglich, den Einfluss von Seuchen auf die Sterblichkeit von Menschen nachzuvollziehen.
Kinder, die während der Masern-Epidemie im Zeitraum von 1714 bis 1715 gezeugt wurden, überlebten bei der Pocken-Epidemie von 1729 bis 1735 häufiger als ihre Geschwister, die vor oder nach dieser Zeit gezeugt wurden.
Das Risiko an Pocken zu sterben, war also etwa siebenmal geringer. Die Geburt war dabei nicht von Bedeutung, sondern ausschließlich der Zeitpunkt der Zeugung.
Verbessertes Immunsystem stört verschiedene Entwicklungsprozesse
Im Zeitraum von 1729 bis 1735 starben sechs Prozent aller Kinder an Pocken. Die Wissenschaftler glauben, dass das verbesserte Immunsystem nicht nur gegen die Masern wirkte, sondern auch gegen verschiedene andere Krankheiten.
Für die Kinder mit stärkeren Abwehrkräften war dies jedoch nicht nur von Vorteil. Vor der Seuchenzeit ab 1729 waren sie deutlich labiler. Die Kinder, die während der Masern-Epidemie gezeugt wurden, starben dreimal so häufig wie ihre Geschwister, die vor der Masern-Epidemie im Jahre 1714 geboren oder gezeugt wurden.
Es ist davon auszugehen, dass das stärkere Immunsystem der betroffenen Kinder andere Entwicklungsprozesse behinderte. In Phasen mit geringerer Pathogen- und Seuchenbelastung sei die Sterblichkeit der Kinder aus diesem Grunde, den Forschern zufolge, höher.
Veränderung des Erbguts ist nicht dauerhaft
Bei Kindern, die nach 1735 geboren wurden, gab es nur noch geringe Unterschiede bei der Sterblichkeit. Laut Willführ war der Effekt des stärkeren Immunsystems zu diesem Zeitpunkt kaum noch messbar. Im Erwachsenenalter spielte der Zeugungszeitpunkt zudem keine Rolle.
Die Forscher gehen davon aus, dass das Erbgut während der Masern-Epidemie verändert war. Diese Veränderung war jedoch nur zeitlich begrenzt und nicht von Dauer. Durch die Belastung mit den Masern-Erregern könne es zudem sein, dass Immungene in den Spermien oder der Eizelle modifiziert waren. Wenn eine Frau zu Seuchenzeiten ein Kind erwartete, bekam das Baby sozusagen die Seucheninformation der Eltern mit auf den Weg.
Willführ erklärte, dass dem Nachwuchs praktisch vermittelt wurde, dass die Umwelt voller Krankheitserreger ist und das es in sein Immunsystem investieren müsse, statt in sein Wachstum. Dadurch überlebte das Kind eine Seuche eher als die Geschwister, die nicht während einer Seuche gezeugt wurden.
Informationsweitergabe ist unklar
Die Studie gibt Aufschluss über die Entwicklung des Immunsystems verschiedener Generationen. Dennoch ist bisher ungeklärt, wie die Informationen über die Erregerbelastung in der Umwelt an den Nachwuchs, während der Zeugung, vermittelt werden.